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Energiewende weltweit, Erfurt und Jena 26.09.2015

Stefan Schurig, Direktor für Klima und  Energie beimn World Future Council (Weltzukunftsrat, Hamburg) war zu Gast beim 1. Thüringer Bürger-Energie-Tag am 26. September in Erfurt (Interview) und Jena (Vortrag)

Schurig Erfurt 2015 09 26
Stefan Schurig im Interview auf dem Erfurter Anger beim 1. Thüringer Bürger-Energie-Tag


Interview in TLZ vom 25.09.2015

Weltzukunftsrat-Direktor im Jenaer Interview über Klimawandel und Energiewende




Jena/Hamburg. Wie vollziehen andere Länder die Energiewende? Welche Widerstände gibt es? Und taugt Deutschland als Vorbild? Anlässlich des ersten Thüringer Bürgerenergie-Tages hält Stefan Schurig, Direktor für Klima und Energie beim Weltzukunftsrat (World Future Council), am Samstag, 26. September, um 16 Uhr im Volkshaus Jena einen Vortrag zum Thema „Energiewende weltweit“. Wir sprachen mit ihm im Vorfeld seines Besuchs in Jena. Herr Schurig, es heißt oft, im 21. Jahrhundert sei der Klimawandel – die – Herausforderung für die Menschheit. Ist er das tatsächlich angesichts der vielen Krisen, die wir gegenwärtig haben?

Viele Herausforderungen lassen sich nicht voneinander trennen. Klimawandel ist vielleicht die größte Bedrohung, doch wichtig ist, dass man die Herausforderungen ganzheitlich betrachtet. Um ein Beispiel zu nennen: Migration, Völkerwanderung und Flüchtlingswellen sind nicht direkt zu trennen von der Frage des Klimawandels. Und die Frage des Klimawandels hat unmittelbar mit der Frage der Energieversorgung zu tun. So gibt es Querverbindungen, die man im Auge behalten sollte.

Der Klimawandel wird auch oft geleugnet...

Tatsächlich wird er nur von einigen ganz Wenigen geleugnet. In einigen Ländern ist es so, dass die ganz Wenigen, die den Klimawandel bewusst leugnen, ein unglaublich prominentes Podium bekommen. In den Medien werden die Gruppen dann geradezu gleichgesetzt. Das ist natürlich Quatsch. Der Klimawandel schreitet in atemberaubender Geschwindigkeit voran. Den kann man nicht leugnen, sondern muss sich ihm stellen und Lösungen finden. Den Klimawandel zu leugnen hat für mich etwas von Selbstaufgabe.

Sie sind Direktor für Klima und Energie beim World Future Council, dem Weltzukunftsrat. Den Wenigsten ist das ein Begriff.

Ich gebe zu: Der Name ist nicht bescheiden gewählt. Weltzukunftsrat kann im Prinzip alles bedeuten. Er ist entstanden aus den ursprünglichen lokalen Zukunftsräten. Der Gründer unserer Organisation, der auch Gründer des alternativen Nobelpreises ist, hat gesagt, wir brauchen einen Weltzukunftsrat. Das ist eine Art Rat der Weisen, der Erfahrenen, die Jahrzehnte in verschiedenen Feldern von Kultur, Politik bis Umweltengagement gearbeitet haben. Die Idee dahinter ist, diese Erfahrungen in einem Rat zusammenzubringen und die Probleme ganzheitlich zu betrachten. Dann werden Lösungen erarbeitet, das heißt, klare Gesetze, die den zukünftigen Generationen dienlich sind.

Was können Sie bewirken?

Ich glaube, dass der Ansatz, sich konkret auf das Analysieren und Verbreiten von guten Gesetzen zu konzentrieren, höchst effizient ist. Ein Beispiel: Wir haben uns vor Jahren schon sehr stark dafür gemacht, ein Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien auf den Weg zu bringen. In England haben wir ganz konkret dazu beigetragen, dass es dieses Gesetz gibt. Plötzlich sind dort große Investitionen in erneuerbare Energien geflossen, und jetzt gibt es dort eine installierte Leistung von Solarzellen mit über acht Gigawatt – das entspricht fast sechs Atomkraftwerken installierter Leistung.

Warum spielt denn die Energieerzeugung so eine große Rolle bei der Begrenzung des Klimawandels?

Unser ganzes System baut auf der Frage der Energieerzeugung auf. Kohle wird zu Strom und Strom betreibt unsere Maschinen. Dementsprechend fulminant ist die Wirkung, wenn wir dieses System verändern – und wir müssen es verändern. Deshalb spricht man von der Transformation des Energiesektors. Entscheidend ist, dass wir von einer zentralistischen Struktur, wo wenige Großkraftwerke unter riesigen Verlusten Strom unter Verfeuerung von Kohle, Gas oder Öl produzieren, hin zu einer Struktur kommen, bei der Tausende und Abertausende kleine Energieproduzenten den Strom über ein zur Verfügung stehendes Stromnetz teilen.

Ein kompletter Wandel in der Energieversorgung?

Das ist eine 180-Grad-Wende in dem, wie sich unser Energiemarkt aufbaut und funktioniert. Das Geschäftsmodell der alten Energiekonzerne passt überhaupt nicht mehr zu diesen dezentralistischen Systemen. Deswegen ist der Bürgerenergie-Ansatz, bei dem sich Bürgerinnen und Bürger an der Produktion von Strom beteiligen und profitieren können und gleichzeitig Stromkonsumenten sind, genau der richtige Weg. Den haben wir in Deutschland in großen Teilen beschritten. Und er ist auch der schnellste Weg, um unseren Energiesektor zu transformieren.

Sie erwähnen auch die Gaskraftwerke. Sie werden oft als Brückentechnologie gepriesen, bis man den Strombedarf mit Erneuerbaren vollständig decken kann.

Richtig ist, dass Gas zu den am wenigsten CO2-intensiven fossilen Rohstoffen gehört. Wenn Sie die Wahl haben zwischen Öl, Gas und Kohle, ist es am besten, Sie haben ein effizientes Gaskraftwerk, das neben der Stromproduktion eben auch die abgeführte Wärme nutzbar macht. Das macht Sinn. Wie viel Gas wir aber noch brauchen, und was uns aufgrund dieser Option zur Förderung erneuerbarer Energien im Weg steht, mag jeder für sich beurteilen.

Deutschland gilt stets als Vorreiter in der Energiewende. Zu Recht?

Deutschland hat maßgeblich für die Transformation des Energiesektors Maßstäbe gesetzt. Doch die neue Regierung hat einen Gang runtergeschaltet und überlässt diese Führungsrolle jetzt anderen Ländern. Das hat keine technischen Gründe, sondern politische. Man will die bestehenden Energieunternehmen schonen, weil sie sonst in der neuen Energieversorgungsstruktur einer dezentralen Produktion keinen Platz mehr hätten.

Was kritisieren Sie hier konkret?

Unter anderem, dass man von dem sehr erfolgreichen System des Einspeisegesetzes schrittweise abrückt. Der Bürgerenergieanteil wird seitens der Regierung bewusst schrittweise zurückgefahren, auch wenn sie gegensätzliches behauptet.

Städte und Kommunen wie Jena, die auf erneuerbare Energien setzen, können sich mit Labels wie Energie-Kommune schmücken. Was bringt so etwas?

Der lokale Ansatz bringt sehr viel. Für eine Stadt ist es tatsächlich von Vorteil, wenn sie eine starke Führung hat, einen starken Bürgermeister oder eine starke Bürgermeisterin, die sich das Ziel erneuerbarer Energien vornehmen und in einem partizipatorischen Ansatz die Strategie dafür formulieren; wo sich praktisch Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft an den Tisch setzen und gemeinsam überlegen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Denn eines der Kernprobleme auf lokaler Ebene ist, dass viele Administrationen und Abteilungen nicht zusammenarbeiten.

Was kann jeder Einzelne von uns tun?

Natürlich gibt es immer die Möglichkeit, den Stromanbieter zu wechseln. Ein zweiter Schritt ist, zu schauen, ob man seinen Energiebedarf reduzieren kann. Doch man sollte deswegen nicht in Sack und Asche gehen, denn Energie per se ist nichts Schlechtes. Das Problem ist die Frage, wo die Energie herkommt und wie sie produziert wird. Wichtig ist, dass man die Energie schlau nutzt und einsetzt. Außerdem finde ich es gut, wenn sich Menschen mit dem politischen Geschehen befassen, egal ob auf internationaler, nationaler oder lokaler Ebene. Wir brauchen Leute, die politisch engagiert sind, die auch mal einem Politiker die Stirn bieten, wenn der wieder einmal erzählt, dass erneuerbare Energien nur zu einem geringen Anteil funktionieren würden oder die Energiewende zu teuer ist.



Sascha Richter / 25.09.15 / TLZ